Hat das europäische Haus eine Zukunft?

Von Rainer Benecke.

Europa am Abgrund  Ja, das europäische Haus ist baufällig und die nächsten Krisen könnten es einstürzen lassen. Die politisch spannende Frage lautet: was macht die Linke in dieser Situation, wo die Zukunft der Europäischen Union auf dem Spiel steht?

Geert Wilders will mit seiner Partei PVV zur stärksten Partei werden und kündigt ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft an. Marine Le Pen, die nicht aussichtslose Kandidatin des Front national im französischen Präsidentschaftswahlkampf im nächsten Jahr, verspricht für die «Freiheit Frankreichs von Brüssel und Berlin» im Falle ihrer Wahl ein Referendum nach dem Vorbild des Brexit. Auch in der Bundesrepublik deuten nicht nur Pegida, AfD und ihre Wähler die deutsche Geschichte neu, um sich von den Verpflichtungen supranationaler europäischer Solidarität zu entbinden, und verklären nostalgisch den deutschen Nationalstaat.

Nicht nur in Osteuropa, sondern in ganz Europa ist das Vertrauen in die Vorzüge einer supranationalen europäischen Gemeinschaft geschwunden. Es besteht kaum noch die Zuversicht, Fehlentwicklungen in der europäischen Integration, etwa die Einführung des Euro oder die Politik der EZB, könnten korrigiert werden. Auch die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten werden der Europäischen Union zu schaffen machen. Die angekündigten protektionistischen Einschränkungen des Welthandels durch Schutzzölle, die ebenfalls beabsichtigten Lockerungen der Regulierungen im Finanzsektor der USA und die Steuersenkungen für Unternehmen setzen die Gefahr von neuen weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrisen auf die Tagesordnung, die manche, auch linke Parteien in ganz Europa, verstärkt nach einem Ausstieg aus dem Euro als Gemeinschaftswährung und der Auflösung der Europäischen Union rufen lassen.

Ich finde: Das Gegenteil ist richtig. Nationalstaaten können weltweite Wirtschafts- und Finanzkrisen nicht lösen. die ideologische Rückbesinnung auf vermeintlich geordnete Nationen it eine gefährliche Illusion. Nationalstaaten können nicht für 60 Millionen Geflüchtete weltweit humane Lösungen entwickeln, dem Klimawandel begegnen oder den Terrorismus bekämpfen. Sie können sich nicht zunächst, jeweils und alleine um den Wohlstand „ihrer“ Bevölkerungen sorgen, um sich dann danach um Schutz und Aufnahme von Geflüchteten kümmern, wie es manchmal auch aus unserer Partei vorgeschlagen wird.

DIE LINKE und die Linke stehen in ganz Europa vor der historischen Aufgabe, sich zugleich für den Erhalt und den Neustart des europäischen Projekts einzusetzen und ja- auch zu kämpfen. Denn dazu steht nicht mehr und nicht weniger als ein Bruch mit der von Schäuble verordneten Verelendungspolitik auf der Tagesordnung, die ganze Staaten im Süden Europas ruiniert und ihr Überleben gefährdet. Zu einem Neustart gehören deutliche, messbare Schritte in Richtung einer europäischen Sozialunion, die spürbare Verbesserungen im Leben der Schwächsten in ganz Europa zum Maßstab hat.

Zu einer Rekonstruktion des europäischen Hauses gehört eine neue Form der Arbeitsteilung und ein Ausgleichungsmodus, die ähnliche bis gleiche Lebens- und Arbeitsbedingungen in ganz Europa anstrebt. Zur europäischen Haus gehören weiter eine gemeinsame Sozialpolitik, ein europaweites Investitionsprogramm und eine demokratisch gewählte europäische Wirtschaftsregierung, die diese Aufgaben anpackt und umsetzt.

Nein, nicht die Währung, nicht der Euro trägt die Verantwortung für die sozialen Katastrophen in Europa, vor allem im Süden des Kontinents. Die Verantwortung liegt in einer Politik, die sich der „schwarzen Null“ für ganz Europa verschrieben hat, die Verantwortung liegt bei Schäuble, Juncker und Co. Eine Rückkehr zu nationalen Währungen, wie ihn auch einige linke Parteien und ihre Politikerinnen und Politiker in ganz Europa fordern, löst diese Probleme nicht. Und es viel zu kurz gegriffen, wenn formuliert wird, dass es vor der Gemeinschaftswährung, also zu Zeiten des Europäischen Währungssystems, diese tiefgreifende soziale Spaltung Europas nicht gegeben hat. Es wird, warum auch immer, übersehen, dass der politische Prozess, die neoliberale Politik, ihre Furchen geschlagen hat- und dass hier angesetzt werden muß, um ähnliche Lebensbedingungen in ganz Europa zu schaffen.

Das ist die Aufgabe, vor der die linken Parteien in ganz Europa stehen. Sie werden sie lösen müssen- oder der Kontinent gerät in einen noch tieferen rechtspopulistischen Strudel, der das sozial und demokratisch Erreichte in den Abgrund reisst. Ja, Europa ist am Abgrund -doch daraus helfen weder eine Rückbesinnung auf die Nationalstaaten und die Rückkehr der -Mark, des Francs und der Lira – daraus hilft nur eine Politik, die die Interessen der Mehrheit der Menschen in ganz Europa zum Maßstab hat.