Rainer rennt – und Rita macht sich Sorgen

Ein Beitrag von Rainer Benecke aus der Altonaer Linke Nachrichten.

Freitags treffe ich Rita. Rita ist unsere Trainerin. Sie bringt den anderen und mir unseren Sport, das Laufen, bei. Anfersen, Kniehub, Ellenbogenarbeit, Atmung… Trainerin, das ist Ritas Zweitjob. Der andere ist einer irgendwo im Büro, auf zwei Jahre befristet, 30 Stunden pro Woche. „Noch 18 Monate Ruhe, aber dann wird mir wieder bange ums Herz“, sagt Rita zu uns und lacht. Schon heute hofft sie auf eine Verlängerung dieser Festanstellung – aber erst in eineinhalb Jahren weiß sie mehr. „Aber ihr bleibt mir ja erhalten, falls es schief geht!“ sagt sie zu uns, einer ihrer vielen Sportgruppen.
„Rita, was ist los?“ frage ich. Da erzählt sie, dass zum Jahresende die Sozialbindung ihrer SAGA/GWG-Sozialwohnung aufgehoben wird. „Mir ist schon ganz Angst und Bange…“ Zunächst sollen es nur 30 Euro im Monat mehr sein. Aber dann, wenn die Wohnung erst mal keine Sozialwohnung mehr ist… „Was wird dann? Wird sie Jahr für Jahr teurer, so teuer, dass ich irgendwann ausziehen muss?“

rainerrennt01Rita hat also eine Sozialwohnung gefunden – so wie 90.000 andere Hamburgerinnen und Hamburger auch. Sie hatte Glück: Knapp die Hälfte der Bevölkerung in unserer Stadt könnte genau wie Rita in eine Sozialwohnung ziehen, denn sie verdient trotz ihrer täglichen großer Anstrengungen zu wenig, um sich in Hamburg eine „freie“ Wohnung leisten zu können – vom Bauen oder Kaufen ganz zu schweigen. Das war nicht immer so: Mitte der 70iger Jahre gab es in Hamburg noch rund 400.000 Sozialwohnungen. Anfang 2000 waren es dann noch 167.000, im Jahr 2012 etwas mehr als 110.000, in 2014 dann 87.000. Und 2020 soll es nur noch 60.000 Sozialwohnungen in Hamburg geben. Der Senat teilt diesen Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau in verschiedenen Drucksachen mit. Er begann immer mit der Aufhebung der Sozialbindung der Mieten in den bisherigen Sozialwohnungen. Genau das erlebt Rita jetzt – und genau das muß verhindert werden, im Interesse der Mehrzahl der Menschen in unserer Stadt. Rita hat zwei Kinder, der kleine Junge hat Entwicklungsstörungen. Zuwendung und teure Therapien helfen ihm. Die Tochter ist schon älter, Auszubildende und packt mit an, denn Rita ist alleinerziehend. Die zwei Jobs bringen Rita um die 1900 Euro netto monatlich. Damit zählt sie nicht zu den 280.000 armen Menschen in Hamburg, sondern zur unteren Mittelschicht. Dafür arbeitet sie mehr als sechzig Stunden in der Woche und kämpft mit ihrem schlechten Gewissen: „Eigentlich müsste ich mehr für meinen Jungen tun, aber meine Tochter hilft mir ja“. Rita wundert sich: Nichts bleibt über, trotz der zwei Jobs. 1.500 Euro gehen für Miete, Versicherung, Strom, Wasser und Therapien drauf. 500 Euro sind für Lebensmittel, den alten Corsa und Rücklagen für den Urlaub verplant.

„Wir sind ja nicht arm“, sagt Rita, „aber ich habe schon Angst… Was wird sein, wenn mein befristeter Job nicht verlängert wird? Was wird sein, wenn irgendein Konzern in der City Nord Leute entlässt und die dann nicht mehr in meine Laufgruppe kommen können? Neulich habe ich da so ein Gerücht gehört…“
Nun hören und lesen wir, dass Hamburg Spitze beim sozialen Wohnungsbau sei – im Bundesdurchschnitt sogar ganz weit und uneinholbar vorne. So wirbt Hamburgs SPD für ihre Wohnungspolitik. Tatsächlich, es wurden seit 2011 über 8.500 Wohnungen gebaut. Davon waren allerdings nur 2.185 Sozialwohnungen, 2.143 Wohnungen im ersten Förderweg. Hier ist die Miete bei Euro 6,20 gebunden. 42 Wohnungen von den neuen Sozialwohnungen sind im zweiten Förderweg zu vermieten. Hier liegt der Preis bei Euro 8,30 pro qm. Doch während diese Wohnungen gebaut werden, verlieren gleich-zeitig 8.000 Hamburger Wohnungen die Sozialbindung. Unterm Strich sind das 6.000 Sozialwohnungen weniger.

Ganze 26 Wohnungen in den 2.185 Neu-bauten sind für die „WA-Fälle“ vorgesehen: Das sind die vordringlich Wohnungssuchenden in Hamburg. Noch vor zwei Jahren gab es in Hamburg 45.500 Wohnungen unter den Sozialwohnungen, die zusätzlich für anerkannt vordringlich Wohnungssuchende gebunden sind.
Rita hat Angst. Sie fürchtet die Folgen. „Mieten können doch nach der Aufhebung der Sozialbindung ins Unermessliche steigen“, sagt sie uns zwischen Sprint und Lockerungsübung am Ende unserer Trainingseinheit. „Ich wohne doch schließlich in fast bester Lage…Und wenn ich umziehen muss, was wird aus Tom, meinem Sohn? Der fängt jetzt an, sich in seiner Inklusionsklasse wohl zu fühlen. Wenn ich vielleicht nach Norderstedt ziehen muss, weil´s da preiswerter ist, dann geht der ganze Zirkus mit ihm wie-der von vorne los. Das geht nicht!“ Empört entlässt sie uns in den Feierabend. Am 9. April schrieb Chefredakteur Lars Hai-der im Hamburger Abendblatt einen Leitartikel. „Hamburg nur für Reiche“ nennt er ihn – und kommt hier ohne Fragezeichen aus. Er beginnt so: „Treffen sich zwei Immobilienmakler. Sagt der eine: „Hast Du schon gehört, dass es in Hamburg bald keine Probleme mehr mit der Spaltung in Arm und Reich gibt?“ Sagt der andere: “Warum das denn?“ „Weil es sich die armen Menschen nicht länger leisten können, in Hamburg zu leben.“ Später: „Was wird diese Entwicklung (am Immobilienmarkt und in der Wohnungspolitik) aus Hamburg machen? Wird die Stadt künftig noch dem von Bürgermeister Olaf Scholz formulierten Anspruch gerecht wer-den können, dass hier jeder sein Glück finden kann?“ Die Antwort ist eindeutig: Nein. Hamburg wird, Stück für Stück, eine Stadt der Reichen, der sehr Reichen…“

Damit beschreibt er die Wirklichkeit in der Stadt, in der die Mieten seit Jahren schon so sehr steigen, dass immer mehr Menschen in Hamburg einen zweiten Job brauchen, um hier leben und überleben zu können. Haushalte mit geringem Einkommen finden kaum Wohnraum zu bezahlbaren Preisen. Menschen mit Schulden haben geringe Chancen, sich auch nur ein Zimmer anzumieten. Transferleistungsbezieherinnen und -bezieher bleiben vor der Tür, im wahrsten Sinne des Wortes: Die Anzahl der Menschen in Hamburg ohne Wohnung steigt, das Winternotprogramm für die über 2000 Obdach-losen in einer der reichsten Städte Europas ist vollkommen unzureichend – und es beginnt zu spät, nachdem die Wohnungslosen erste Erfrierungen erlitten haben. Bereits im November starb der erste Obdachlose, draußen, auf der Straße, in eisiger Kälte.

Ich habe Rita von den wohnungspolitischen Forderungen der LINKEN berichtet. Ich habe ihr beim langen Lauf erzählt, dass DIE LINKE bundesweit für einen bezahlbaren kommunalen Wohnungsbau eintritt, einen neuen gemeinnützigen Wohnungsbau fordert und mit leuchtenden Augen vom Wiener Beispiel berichtet. Keine Profite mit der Miete. Rita stimmt mir zu: Das Grundübel ist, dass der Wohnungsbau in Hamburg in die Hände von Investoren gelegt wird. „Klar, die wollen Gewinn“ sagt sie. Sie weiß, dass auch außerparlamentarischer Druck notwendig ist, um das zu ändern. „Aber entschuldige mal, wenn ich von meinen zwei Jobs nach Hause komme, dann braucht mich mein Sohn! Da bleibt nicht mehr viel Zeit für Demos, Inis oder anderes Zeugs! Außerdem bin ich müde…“

Für Politik braucht mensch Zeit. Stimmt. Rita hat DIE LINKE bei der letzten Bürgerschaftswahl gewählt. Ihr hat unser Plakat mit der Forderung nach den bezahlbaren Mieten gefallen. Das war ihre kleine Demonstration, ihr Protest zwischen Abwasch und Zweitjob.. Und nun verlangt sie von uns, dass wir – die Partei, der sie ihr Vertrauen und ihre Stimme gab – unser Versprechen halten und spürbar zur Verbesserung ihrer Lage beitragen. Und auch darum bin ich dabei, wenn wir in Hamburg in den Großraumsiedlungen Unterschriften für den Erhalt der Sozialbindungen sammeln, zunächst bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA/GWG. Hier könnte der Senat Einfluss nehmen, wenn er wollte.

„Wir brauchen eine wirkliche Mietpreisbremse, eine, die ihren Namen verdient.“ Rita stimmt mir zu. „Du brauchst eine spürbare Erhöhung Deines Wohngelds. Aber, Rita, ganz ohne Deine Mithilfe wird es nicht gehen. Der erste Schritt wäre bei uns für den Erhalt der Sozialbindung zu unterschreiben, denn das ist Hamburger Landespolitik. Anschließend sollten wir gemeinsam beraten, wie wir weiter vorgehen. Mietpreisbremse, Wohngeld – alles Bundespolitik. Da werden wir, da wird DIE LINKE in Berlin initiativ werden. Wir begreifen Wohnungspolitik als Sozialpolitik, in Hamburg und Berlin.“
„Ende des Werbeblocks“, sagt Rita. „Du musst jetzt bis zur ersten Kurve Vollgas geben und dann…“

Im November 2016 hat die LINKE. Hamburg ihre wohnungspolitische Kampagne „Miete bezahlbar machen- Sozialbindung erhalten!“ begonnen.
Es geht im ersten Schritt darum, die Mieterinnen und Mieter in SAGA-Wohnungen, darin zu unterstützen, sich gegen das Auslaufen der Mietpreisbin-dungen zu wehren. Dafür sammeln wir Unterschriften und unterstützen die Bildung von Mieterinnen- und Mieter-Initiativen.