Über mich

Ein Linker aus Hamburg im 21. Jahrhundert

1952 wurde ich in Hamburg geboren. Hier bin ich aufgewachsen – und in diese Stadt bin ich immer wieder zurückgekommen. Ich verließ die Schule vor dem Abitur, machte eine Lehre als Buchhändler und wurde Mitglied der Gewerkschaft HBV, Jugendvertreter in einer großen Buchhandlung. Das Jahr 1968 in Hamburg – damals war ich 16 Jahre alt – empfand ich auch als Ausbruch aus den vorgezeichneten Bahnen. Ich fragte, wer die Nazis 1933 an die Macht brachte, warum keine und keiner mir etwas über Auschwitz erzählte und wieso in der Bonner Republik überall ehemalige Mitglieder der NSDAP in öffentlichen Ämtern anzutreffen waren. Sie konnten sogar Bundeskanzler werden – siehe Kurt Georg Kiesinger.

DIS6008 2Ich war darum dabei, als die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit den Studierenden diese Fragen in der Öffentlichkeit laut und deutlich stellten, gegen den Krieg der USA in Vietnam protestierten und Sozialismus forderten. Ich fand mich in Zirkeln wieder, die gemeinsam lasen, diskutierten und Party machten. Die Beatles und die Stones lieferten den Soundtrack dazu. Immer waren Menschen aus der SDAJ um mich herum. So wurde ich 1972 Mitglied, gleichzeitig trat ich in die DKP ein. Wenn mich meine bisherigen Freundinnen und Freunde oder meine Kumpels aus der Band ungläubig fragten: „Du in der DKP?“ sagte ich: „Ich werde diese Partei verändern!“.

Sie veränderte mich. Mein Freundeskreis veränderte sich. 1975 ging ich zur Parteischule nach Berlin-Biesdorf. Ich verließ das Franz-Mehring-Institut nach einem Jahr. Urgesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus. Geschichte wird gemacht. Ich arbeitete in der kommunistischen Buchhandlung meiner Stadt. Dann wechselte ich den Aufgabenbereich. In Betrieben mit Angestellten mangelte es an DKP-Betriebsgruppen und -Mitgliedern. Über meine damalige Frau nordafrikanischer Herkunft lernte ich früh viel und direkt über Flucht und Vertreibung, Kolonialismus und fremde Kulturen, die untrennbarer Teil unserer und meiner Familie und meines Lebens wurden und sind. Mit Mitte zwanzig war ich Vater von zwei Töchtern – da traf es sich gut, dass ich die politische Arbeit unter den Angestellten entwickeln sollte. Schließlich gab es in der Versicherung, in der ich nun arbeitete, 14 Gehälter, sechs Wochen Urlaub, Gleitzeit und eine gute Kantine. Soziale Sicherheit.

Ich kündigte nach zehn Jahren. Ich war Vertrauensmann meiner Gewerkschaft HBV in diesem Betrieb und immer noch Mitglied der DKP. In fünf Hamburger Großbetrieben mit fast ausschließlich Angestellten gab es nun Betriebsgruppen meiner damaligen Partei. Seit einigen Jahren quälten mich Zweifel an meinem Weltbild, in Moskau wurden sie zur Zeit der Perestroika zur Gewissheit. Ich lernte: Der reale Sozialismus wird an seinen Widersprüchen scheitern. Auch der Mangel an demokratischer Kultur ist für diese historische Niederlage verantwortlich. In der Erneuerungsbewegung der DKP diskutierten wir seit Mitte der achtziger Jahre die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis und stellten Fragen an die eigene Theorie.

1988 verließ ich die DKP. Ich hatte gehofft, dass sie sich zu einem Beispiel für ein Leben von Freien und Gleichen verändern und entwickeln könnte. Ich arbeitete in den 90iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Wahlbüro der PDS an den Wahlkämpfen mit und setzte sie manchmal auch vor Ort um. Später machte ich mich als Öffentlichkeitsarbeiter selbstständig – wer wollte schon einen ehemaligen Kommunisten beschäftigen.

Die Politik blieb Teil meines Lebens. Ob in der Elterninitiative oder im Vorstand eines Sportvereins – immer arbeitete ich ehrenamtlich in und mit der Gesellschaft. Später wurde ich in der LINKEN aktiv, zunächst in Hamburg-Eimsbüttel, dann im Landesverband Hamburg. Von 2014 bis zum November 2017 war ich der Landessprecher meiner Partei in Hamburg. Seit dem November leite ich die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag.

Doch mein Leben ist nicht nur Politik. Ich bin inzwischen Vater dreier Töchter und Großvater zweier Enkel. Über die Jahre habe ich gelernt, dass jeder Lebensentwurf gelebt werden darf, selbstbestimmt und frei. Frei von der Angst um die Zukunft. Frei von der Angst um soziale Sicherheit, frei in allen Rechten. Und immer frage ich mich, ob es nicht besser, gerechter, anders geht – und was für die Menschen und auch für mich in meiner Stadt dabei herum kommt. An allem ist zu zweifeln. Ich bin ein Linker aus Hamburg im 21. Jahrhundert.

 

Ihr

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